Nicht den Kleiderschrank, nicht den Keller oder Dachboden und schon gar nicht die Wohnung. Aufräumen sollten wir alle mit Vorurteilen. Tief vergraben und mehr wie verstaubt liegen sie in uns. Wer denkt nichts Böses, wenn er einem Mann oder Frau mit tätowiertem Gesicht begegnet? Von «Der/die ist bestimmt Mitglied einer Gang.» über «Ex-Knaki» bis zu «Wie viele Menschen, der/die wohl auf dem Gewissen hat?» ist wohl alles an Gedanken dabei, die so manchem bei einer solchen Begegnung durch den Kopf gehen. Doch die meisten davon könnten nicht einmal eine Fliege töten. Ähnlich ist es am Samstagnachmittag mit einer Gruppe Punks im Park. «Siffköpfe», «Nichtsnutze», «Junkies» und was dem Ottonormalbürger sonst noch für Schimpfwörter in den Sinn kommen. Wenn sie wüssten, dass der eine IT-Spezialist ist, die nächste als Krankenschwester arbeitet und der dritte der Runde seinen Master in Biologie hat. All diesen Bünzlis würde wohl die Kinnlade runterfallen. Nicht zu vergessen die Leute in schwarz, die sich Gothics nennen und sicher in der Nacht auf den Friedhöfen den Teufel anbeten oder der muslimische Nachbar, der bestimmt einer Terrororganisation angehört. Diese Liste der Klischees könnte ich noch beliebig erweitern. Doch ein Blick hinter die Fassade bringt nicht selten Erstaunliches ans Licht. Der geschniegelte Anzugträger aus der schicken Villa: Kokainsucht, Betrug im grossen Stil und Gewalt gegen die Ehefrau. Die Schlagzeile: «Spitzenbanker wegen Körperverletzung und Betrug hinter Gitter.» Tja wer hätte das gedacht. Arme oberflächliche Gesellschaft. Dagegen hilft nur eines. Seinem Gegenüber offen begegnen und zuhören. Dabei können sich neue spannende Welten eröffnen. Ich schaue von meinem Laptop hoch. Eine junge Frau im kurzen Minirock, grossen Titten, dicke knallrotgeschminkte Lippen und das Gesicht mit Make-Up zugekleistert stöckelt an mir vorbei in den nächsten Wagon des Zuges. Ihre Duft Spur ist noch Minuten danach zu riechen. Was ich gerade gedacht habe, verrate ich nicht. Nur so viel: Ich sollte dringend aufräumen.